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13. září 2012  

Eva Binder about "The Project of Engineer Pright" as „missing link“ between Russian pre-revolutionary and Avant-Garde cinema in "Osteuropa" 2012...

A review of the absolutMEDIEN Hyperkino-DVD of Kuleshov's The Project of Engineer Pright"

Lew Kuleschow: Das Projekt des Ingenieurs Pright. 1918. DVD-Edition hg. von absolut MEDIEN 2008. Mit Hyperkino-Kommentar von Nikolai Izvolov und Natascha Drubek-Meyer

Die unter dem Markenzeichen Hyperkino subsumierte Methode der Filmkommentierung, die von der deutschen Slawistin Natascha Drubek-Meyer und dem russischen Filmhistoriker Nikolaj Izvolov entwickelt wurde, basiert auf dem altbewährten Prinzip der wissenschaftlichen Textkommentierung in Form von Fußnoten. Während der Film abläuft, erscheinen an ausgewählten Stellen Zahlen, die durch einen Klick zu einem schriftlichen Metatext führen, der wahlweise multimedial durch Fotos, Ausschnitte aus Filmen, schriftliche Dokumente etc. ergänzt ist.

Die vorliegende DVD ist bei dem deutschen Filmverleger absolut MEDIEN erschienen, der eine Nische im kommerziell dominierten Video- und DVD-Markt einnimmt und sich auf die Verbreitung von künstlerisch anspruchsvollen Filmen aus Geschichte und Gegenwart spezialisiert hat. Es sind gleich zwei Neuheiten, die diese DVD aufzubieten hat: Erstens handelt es sich bei dem Filmtitel, der nicht einmal Filmhistorikern geläufig sein dürfte, um das 1918 entstandene Filmdebüt von Lev Kulešov, zweitens wird die Methode von Hyperkino als Modell präsentiert. […]

Die DVD-Edition ist inhaltlich so aufgebaut, dass sie für Filmhistoriker, Filminteressierte wie auch für die universitäre Lehre eine Fülle an Materialien bereithält und verschiedenen Interessen gerecht wird. Sie beinhaltet zwei Versionen des Films: die im russischen Staatsfilmarchiv Gosfil’mofond erhalten gebliebene Fassung ohne Zwischentitel sowie die von Nikolaj Izvolov 2001–2007 rekonstruierte Fassung, in der die Zwischentitel ergänzt wurden. Die rekonstruierte Fassung kann sowohl im Hyperkino-Modus, d.h. mit den Anmerkungen in Form von „Fußnoten“, als auch ohne diese abgespielt werden. Darüber hinaus liegen zwei Musikfassungen vor, nämlich der Soundtrack von Dmitrij Matov von 2004 sowie die musikalische Begleitung von Jiří Hradil von 2007. Des weiteren enthält die DVD als Bonusmaterial den 1969 von Semen Rajburt gedrehten, fünfzigminütigen Dokumentarfilm Ėffekt Kulešova, der ein ausgedehntes Interview mit dem Regisseur kombiniert mit Ausschnitten aus seinen Filmen beinhaltet und damit ein Zeugnis der Wiederentdeckung der Filmkultur der 1920er Jahre während des Tauwetters in der Sowjetunion darstellt. Es ist ein besonderes Verdienst der vorliegenden DVD-Edition, diesen sehenswerten Dokumentarfilm, in dem der gealterte Filmpionier selbst zu Wort kommt, in einen geeigneten Rezeptionskontext gestellt zu haben.

Die Metatexte können sowohl im Hyperkino-Modus, d.h. während der Filmrezeption, als auch gesondert in einer eigenen Navigationsliste aufgerufen werden. Dabei handelt es sich um kürzere Texte, in denen der Kontext der Entstehung des Films dargelegt (etwa in Annotation 1 „Die russische Kinematographie 1918“) oder die Rekonstruktion des Films beschrieben wird (Annotation 2 „Sujet und Libretto des Films“ sowie Annotation 27 „Der Film im Archiv und seine Rekonstruktion“). Vor allem aber zielt die Kommentierung auf die besonderen ästhetischen Merkmale des Films ab: Dazu gehören im Wesentlichen die Montage und Schnitthäufigkeit (Annotation 3 „Ein ,überamerikanisches Drama‘“ oder Annotation 14 „Die berstende Flasche: 8 Schnitte“) oder spezifische Bildmotive und Bildeinstellungen, wie Annotation 5 „Dampf und Rauch“ deutlich macht. Des weiteren beziehen sich die Metatexte auf einzelne Personen, allen voran Lev Kulešov selbst. Die Kommentierung ist wissenschaftlich ausgerichtet und enthält zahlreiche, mit Quellenangaben versehene Originalzitate aus den Schriften von Kulešov, so z.B. zur Großaufnahme und zum berühmt gewordenen Kulešov-Effekt. Auch andere Quellen, wie Zeitungstexte, finden Verwendung.

Die multimedialen Präsentationsmöglichkeiten des digitalen Mediums erlauben es, die sprachlichen Metatexte mit Filmausschnitten zu kombinieren. Besonders aufschlussreich sind die Ausschnitte aus den Filmen von Evgenij Bauėr, für den Kulešov 1916–17 als Ausstatter arbeitete und die den künstlerischen Entwicklungssprung, den der zur Zeit seines Filmdebüts nicht einmal 20-jährige Kulešov vollzogen hatte, vor Augen führen. So gesehen verdient natürlich vor allem der auf der DVD präsentierte Film selbst Aufmerksamkeit, stellt er doch so etwas wie einen „missing link“ zwischen dem vorrevolutionären russischen Film und dem sowjetischen Montagekino der 1920er Jahre dar. Neben der Entdeckung der Montage als künstlerisches Ausdrucksmittel und Bedeutung generierendes Verfahren, das für den russischen Film neu war, sind auch Kulešovs „natürliche Schauspieler“, d.h. Amateurdarsteller, sowie das Drehen an Originalschauplätzen zukunftsweisend.

Die filmhistorischen Informationen, die im Mittelpunkt der Metatexte stehen, werden durch kulturwissenschaftlich und kulturhistorisch interessante Details sinnvoll ergänzt. Von besonderem Interesse sind hier die zur Entstehungszeit des Films herrschenden Vorstellungen von Amerika (der Film spielt in den USA), wenn beispielsweise die Protagonistin in Hosen bzw. in einem Herrenpyjama ins Bild gesetzt wird. Zu diesen Details, die der Aufmerksamkeit der Rezipienten ohne Anmerkung wohl entgehen würden, gehört auch die Zeitung, die die weibliche Hauptfigur liest. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine amerikanische Zeitung, sondern um die im damaligen Petrograd herausgegebene polnische Zeitung Kurier Nowy. Der Filmfehler wird damit erklärt, dass englischsprachige Zeitungen im Moskau des Jahres 1918 kaum erhältlich waren, deutsche und französische Zeitungen als solche vom gebildeten Publikum jedoch erkannt worden wären.

Die russisch-deutsche DVD-Edition stellt ein Pilotprojekt dar, dem 2010 eine Serie von vier weiteren kommentierten Filmen (Oktjabr’ und Stačka von Sergej Ėjzenštejn, Velikij utešitel’ von Lev Kulešov sowie Sčast’e von Aleksandr Medvedkin) folgte. Fünf weitere Hyperkino-Editionen wurden 2012 herausgebracht: Devuška s korobkoj, Okraina und U samogo sinego morja von Boris Barnet, Potomok Čingiz-chana unter der Regie von Vsevolod Pudovkin sowie Detstvo Gor’kogo von Mark Donskoj. Alle Editionen erschienen  in der Kino-Academia-Serie von RUSCICO (Abkürzung für Russian Cinema Council) und sind mit einem Kommentar auf Russisch und Englisch versehen. Dabei ist anzumerken, dass die Qualität der Kommentierung vom jeweiligen Autor abhängt und dass die Materialien nicht mehr so sorgfältig aufbereitet sind, wie dies bei Kulešovs Projekt des Ingenieurs Pright der Fall ist. So fehlen beispielsweise nähere Angaben zur verwendeten Fassung des Films wie zur eingespielten Stummfilmmusik, und die Metainformationen sind deutlich weniger multimedial aufbereitet. Trotz dieser Abstriche bei der RUSCICO-Edition wurde die Hyperkino-Methode beim renommierten Filmfestival Il Cinema Ritrovato in Bologna 2010 als innovativ gewürdigt und die ersten drei Ausgaben von RUSCICO mit dem DVD-Preis „Best Special Features (Bonus) Award“ ausgezeichnet. Neben dem Proekt inženera Prajta handelt es sich dabei um Kulešovs 1933 gedrehten Film Velikij utešitel’ (kommentiert von Ekaterina Chochlova) und um Oktjabr’ von Sergej Ėjzenštejn (kommentiert von Yuri Tsivian). Filmwissenschaftler und Filminteressierte dürfen auf weitere Ausgaben mit Hyperkino-Kommentar gespannt sein.


Eva Binder about "The Project of Engineer Pright" as „missing link“ between Russian pre-revolutionary and Avant-Garde cinema in "Osteuropa" 2012...

Eva Binder about "The Project of Engineer Pright" as „missing link“ between Russian pre-revolutionary and Avant-Garde cinema in "Osteuropa" 2012...